Videospiele dienen längst nicht mehr der bloßen Unterhaltung. Sie sind ein Kulturgut, an dem sich ein stetig wachsender Anteil der Gesellschaft erfreut. Videospiele spielen zu können bedeutet demnach an Kultur und damit an einem nicht unbedeutenden Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens teilhaben zu können.

Spärliches Licht fällt durch den mehrere Meter hohen Zaun, der rund um einen Kontrollpunkt errichtet wurde. Große Schilder weißen auf ein Drehkreuz hin, welches alle passieren müssen, die auf die andere Seite wollen. Dort eine Häuserschlucht aus hohen, teils verfallenen Gebäuden, hier hohe Gräser, Nadelbäume und mit Moos bewachsene Betonblockaden. Aus Ellies Rucksack ragt ein Gewehr und mehrere Pfeile mit gestreiften Federn. Sie bewegt sich auf den Durchgang zu, öffnet unter Knarzen und Quietschen das eingerostete Drehkreuz und gelangt auf die andere Seite. Ellie klettert auf einen Berg aus Sandsäcken um über einen Vorsprung in eines der verlassenen Gebäude einzusteigen. Gebückt betritt sie einen großen Raum voller leerer Regale und Schränke. In der Postapokalypse sind Lebensmittel, Munition und Verbandmaterialien rar.

Ellie, eine der Hauptfiguren des atmosphärischen Videospiels "The Last of Us - Part II" wird von einem Spieler namens Agon durch diese Szenerie gesteuert. Die vollzogene Handlung klingt dabei weder besonders komplex noch spannend. Bedeutend ist sie, da Agon komplett blind ist und keines der beschriebenen Details visuell erfassen kann. Er findet sich dennoch in der Spielwelt zurecht, steuert autonom, löst Rätsel, klettert, schießt, flieht, versteckt sich und folgt der packenden Handlung des Spiels.

Möglich machen das die umfangreichen Funktionen für Barrierefreiheit auf die die EntwicklerInnen im Entstehungsprozess viel Wert gelegt und einen hohen Aufwand betrieben haben. Gemeinsam mit Menschen mit Behinderung hat das EntwicklerInnenstudio Naugthy Dog über 60 Einstellungsmöglichkeiten für Barrierefreiheit in das Spiel eingebaut. So haben, neben Menschen mit visuellen, auditiven, motorischen oder kognitiven Einschränkungen, alle SpielerInnen bei Bedarf einen vereinfachten Zugang. Wie der blinde Spieler Agon auf die Optionen für Barrierefreiheit zurückgreift stellt er auf seinem Youtube-Kanal dar.

Wie der blinde Spieler Agon mit Funktionen für barrierefreies Sehen The Last of us -Part II spielt

Barrierefreies Zocken ist geprägt von Individuallösungen

Videospiele zu spielen bedeutet rein technisch betrachtet „...eine systematische Kopplung von Mensch und Maschine" (Schemer-Reinhard 2012, S. 38). Diese Kopplung – bei der Spielende spielen – ist durch Spieleentwicklernnen und die Plattformen wie Computer und Spielekonsolen standardisiert. In der Regel wird sie am PC über Maus und Tastatur und an der Konsole über einen Spielcontroller eingegangen. Wenn es Spielenden nicht möglich ist über diesen standardisierten Zugang zu spielen kann von mangelnder Barrierefreiheit gesprochen werden. Im Idealfall können Gamerinnen aber auf Individuallösungen zurückgreifen. Jene werden auch als assistive oder unterstützende Technologien bezeichnet und umfassen Soft- und Hardwarelösungen, wie zum Beispiel Screenreader für das Vorlesen von Textinformationen oder alternative Eingabegeräte wie Spezialjoysticks, Mundmaus oder Augensteuerung (vgl. Werning, Böhmig 2019, S. 274). Klar ist dabei auch, dass alleine das Anschaffen und Einrichten einen erheblichen Mehraufwand bedeuten und weitere Barrieren darstellen können.

Softwarelösungen

Individuelle Softwarelösungen werden zumeist am Computer eingesetzt. Hier vergrößert etwa eine zusätzliche Software für Menschen mit visuellen Einschränkungen das fokussierte Spielgeschehen, ermöglicht es Tastaturbefehle auf Spielcontroller und Joysticks umzulegen, ließt Bildschirmtext vor, erhöht Kontraste oder verbalisiert sogar das gesamte Spielgeschehen. So ermöglicht das SKU Addon das Spielen von World of Warcraft für blinde Spieler*innen.

Das SKU-Addon macht World of Warcraft für blinde Menschen spielbar

Die gängigen Betriebsysteme besitzen bereits etliche Funktionen für Barrierefreiheit. Ein Blick in die Einstellungen lohnt sich!

Hardwarelösungen

Das Spektrum an Hardware reicht von niederschwelligen Lösungen der Marke "Eigenbau" wie Makey Makeys bis zu hochkomplexen Technologien wie Quadsticks. Bei erstgenannten Makey Makeys handelt es sich um eine kleine Platine, die vom Computer ohne Zusatzsoftware als Tastatur erkannt wird. Mit Kabeln und haushaltsüblichen Gegenständen lassen sich nun individuelle Tasten und damit Bedienkonzepte erstellen. Letztgenannte Quadsticks dienen als Eingabegerät, welches ausschließlich mit dem Mund bedient wird. Über einen verbauten Joystick können Spielende ihre Spielfigur mit dem Mund steuern und über Hineinpusten oder Saugen weitere Aktionen ausführen und so etwa Zauber ausführen oder ihre Waffe nachladen. Dennis "Wheely" Winkens spielt mit den Quadsticks online kompetetive Shooter wie Call of Duty oder liefert sich rasante Duelle in Rocket League.

Der Spieler Dennis "Wheely" Winkens zeigt den Quadstick in Aktion

Mit dem Xbox Adaptive Controller hat Microsoft eine eigene assistive Technologie entwickelt, die es Spielenden ermöglicht die Art und Weise, wie sie Eingaben tätigen zu modifizieren. Er kann sowohl am Computer, wie auch an der Xbox verwendet werden. Der Adaptive Controller ermöglicht das unkomplizierte Anschließen weiterer Tasten, welche in Größe, Aufbau und Platzierung adaptiert werden können. So kann etwa der linke Joystick des normalen Controllers auf einen weiteren Joystick "umgelegt" werden, welcher mit dem rechten Fuß bedient wird. Menschen mit einer Halbseitenlähmung wird das Spielgeschehen damit erheblich erleichtert. Mit dem Access Controller hat der Playstation Entwickler Sony ein ähnliches Produkt im Angebot, welches bis dato noch nicht erschienen ist.

Beispielhafter Aufbau um ein Rennspiel mit dem Xbox Adaptive Controller mit nur einem Arm zu steuern

Barrierefreie Spielmechanik in populären Games

Doch auch ein umfangreiches Angebot an assistiven Technologien ist kein Garant für reibungsloses barrierefreies Gaming. So kommt es vor, dass ein Softwareupdate des Spiels die mühevolle Feinjustierung zunichte macht oder das Eingabegerät einen neuen Treiber benötigt. Meist liegt die Verantwortung primär bei den Menschen mit Behinderung durch individuelle Zugänge Barrieren abzubauen. Sieht man "...Inklusion nicht als [...] Sonderproblem von [einzelnen] Gruppen, sondern als gesellschaftspolitische Aufgabe, inkludierte Verhältnisse zu schaffen..." (Bosse, Schluchter, Zorn 2019, S. 17) ist das Aufkommen immer mehr Optionen für Barrierefreiheit begrüßenswert und entspricht viel mehr einem sozialen Gesellschaftsbild.

Neben möglichen Komplikationen in der assistiven Technologie erschweren oft auch die Spielmechaniken selbst den Zugang. "Ein häufig eingesetztes Mittel, um zu verdeutlichen, dass die Spielfigur sich gerade anstrengen muss, etwa weil sie einen schweren Holzbalken anhebt, ist beispielsweise das sogenannte "Button-Smashing", das wiederholte schnelle Drücken eines Knopfes. Für Spielende mit Behinderung kann dies schnell zu Überanstrengung und/oder Schmerzen führen. Eine Option, die das Button-Mashing auf ein kurzes Halten des Knopfes ändert, kann den Unterschied machen, ob dieses Spiel das nächste Lieblingsspiel wird oder überhaupt nicht genossen werden kann" (Eilert 2020, S. 210). Eines der Grundprinzipien für Barrierefreiheit ist das sogenannte "Zwei-Sinne-Prinzip" (vgl. Adams, Simone 2019, S.47), wonach Informationen stets über mindestens zwei Kanäle zu übermitteln sind. Mittlerweile bieten nahezu alle populären Videospiele die Option Dialoge mit Untertiteln zu versehen. Das "Zwei-Sinne-Prinzip" konsequent im Spieldesign umzusetzen erfordert darüber hinaus etwa das Klingeln eines Telefons, das Auslösen des Alarms oder das schlurfende Heranschleichen eines Zombies visuell zu vermitteln.

Teilhabe durch barrierefreies Gaming

Das zu Beginn des Textes erwähnte The Last of Us Part II ist das erste Spiel, das umfangreiche Funktionen für Barrierefreiheit tief in das Spieldesign integriert hat. Die Funktionen hat das Entwickler*innenstudio gemeinsam mit SpielerInnen mit Behinderung entwickelt, verbessert und implementiert. Der blinde Gamer Brandon Cole erzählt in diesem Podcast ab Minute 10 über seine Beraterrolle während der Entwicklung von The Last of Us Part II im Podcast doubletap. Nun kann man zu dem Schluss gelangen, dass das Durchspielen eines Videospieles keine große Sache sei. Es geht ja schließlich nur um ein Spiel. Spricht man mit betroffenen SpielerInnen wird schnell klar, dass es für sie von großer Bedeutung ist ihrer Leidenschaft mit mehr Sicherheit nachgehen zu können, sich wie andere auf das Erscheinen neuer Titel freuen zu können, mit dem Wissen, dass sie das Spiel spielen können. „Die Teilhabe an der Gameskultur ist gerade für behinderte Menschen wertvoll, denn kulturelle Teilhabe im Allgemeinen ist für viele behinderte Menschen mit Problemen verbunden. [...] Computerspiele hingegen finden in den eigenen Vier Wänden statt und ermöglichen so die Teilhabe an (Pop-) Kultur in der gewohnten und zumeist gut angepassten Umgebung“ (Eilert 2020, S. 209). Darüber hinaus konkretisiert Melanie Eilert, dass Computerspiele als Ablenkung z.B. bei Menschen mit chronischen Schmerzen und damit als Unterstützung beim Schmerzmanagement eingesetzt werden. Zudem erleichtern Games die soziale Interaktion, da Umweltbarrieren wegfallen und die Anonymität Berührungsängste abbauen kann (vgl. ebd., S. 209-210). In Sachen Barrierefreiheit im Spielemarkt geht es seit einigen Jahren voran. Weitere bekannte Titel großer EntwicklerInnenstudios wie etwa Far Cry 6 oder Horizon Forbidden West sind barrierefreier als ihre Vorgänger. Bei steigender Popularität und einem stetig wachsenden Angebot an Videospielen wächst so auch die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Genauso wie eine Rampe vor einem Café profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung von Barrierefreiheit. Dennoch fördern barrierefreie Spielmechaniken in populären Games die gesellschaftliche Teilhabe und Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung. Die Repräsentation in Computerspielen kann darüberhinaus als "stark ausbaufähig" beschrieben werden. Sie sind nur selten Teil der Spielewelten "...und wenn doch, werden die Charaktere auf Basis von Vorurteilen oder Mutmaßungen gezeichnet. ... Darüber hinaus werden Behinderungen oder Hilfsmittel behinderter Menschen auch gerne als Horror-Element genutzt. Auf einem Auf einem düsteren, verlassenen Flur steht ein alter Rollstuhl herum, der plötzlich unter Quietschen ein paar Zentimeter nach vorne rollt" (Eilert 2020, S. 213).

Menschen mit Behinderung am Entwicklungsprozess zu beteiligen ist also von elementarer Bedeutung, schließlich sind sie die ExpertInnen. Dafür bedarf es auch barrierefreier medienpädagogischer Orte und Angebote rund um die Themen Programmieren, Gaming und Gameskultur.

Quellen

Adams, Simone (2019): Digitale Barrierefreiheit und Inklusion: Von der Theorie in die Lehrpraxis; in: E-Learning-Modelle für die Ausbildung im Bachelorstudium Lehramt Primarstufe

Bosse, Ingo / Schluchter, Jan-René / Zorn, Isabel (2019): Handbuch Inklusion und Medienbildung, Beltz Juventa, Weinheim; Basel

Eilert, Melanie (2020): Inklusion; in: Zimmermann, Olaf / Falk, Felix (2020): Handbuch Gameskultur, Deutscher Kulturrat e.V, Berlin

Schmer-Reinhard, Timo (2012): Theorien des Computerspiels zur Einführung, Steuerung als Analysegegenstand, Junius Verlag, Hamburg

Sonnenberg, Kristin (2017): Soziale Inklusion - Teilhabe durch Bildung, Medienkompetenz als Beitrag zu sozialer und kultureller Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen, Beltz Juventa, Weinheim; Basel

Werning, Carola / Böhmig, Susanne (2019): Barrierefreie Kommunikation und Sprache; in: Bosse, Ingo / Schluchter, Jan-René / Zorn, Isabel (2019): Handbuch Inklusion und Medienbildung, Beltz Juventa, Weinheim; Basel